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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Beschluss verkündet am 02.04.2002
Aktenzeichen: 1 Ws 110/02
Rechtsgebiete: UBG, StGB, StPO


Vorschriften:

UBG § 3
UBG § 1 Abs. 1
UBG § 3 Abs. 2
StGB § 66
StGB § 66 Abs. 3
StGB § 66 Abs. 1 Nr. 3
StPO § 304
StPO § 112
StPO § 453 c
StPO § 112 Abs. 1
StPO § 112 Abs. 1 Nr. 1
StPO § 112 Abs. 2 Nr. 1
Im Verfahren nach dem UBG vom 06.03.2002 (GVBl LSA Nr 12/2002, S. 80 f.) ist aufgrund Verweisung in § 3 Abs. 2 UBG auf die Vorschriften der StPO der Erlass eines Haftbefehls gemäß § 112 StPO (analog) zulässig.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG BESCHLUSS

1. Strafsenat

1 Ws 110/02 OLG Naumburg

In dem Unterbringungsverfahren

wegen versuchten Totschlags,

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg

am 2. April 2002

durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hennig, die Richterin am Oberlandesgericht Henze-von Staden und den Richter am Oberlandesgericht Sternberg

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Strafgefangenen gegen den Haftbefehl des Landgerichts Halle -Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Naumburg - vom 18.03.2002 wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Haftbefehl nach § 3 Abs. 2 UBG i. V. m. § 112 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StPO aufrecht erhalten bleibt.

Gründe:

Der Strafgefangene hat eine Freiheitsstrafe von acht Jahren wegen versuchten Totschlags aufgrund des Urteils des Landgerichts Magdeburg vom 26.11.1992 (21a Ks 19/92) verbüßt. Das Strafende war auf den 19.03.2002 notiert. Das Landgericht Halle - Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Naumburg - hat durch Beschluß vom 18.03.2002 (31 StVK 89/02) die Unterbringung des Strafgefangenen nach dem Gesetz über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 06.03.2002 (UBG) angeordnet und zur Sicherung des weiteren Verfahrens Haftbefehl nach § 453 c StPO analog erlassen. Im vorliegenden Verfahren wendet sich der Strafgefangene mit der Beschwerde gegen den Haftbefehl. Gleichzeitig hat er auch gegen die Hauptsacheentscheidung sofortige Beschwerde eingelegt, über die jedoch gesondert zu entscheiden ist.

Die nach § 3 Abs. 2 UBG (Gesetz über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung) i.V. m. § 304 StPO zulässige Beschwerde bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.

Die Voraussetzungen für den Erlaß eines Haftbefehls sind gegeben. Diese bestimmen sich allerdings nach § 112 StPO analog i. V. m. § 3 Abs. 2 UBG, und nicht, wie es das Landgericht angenommen und das beteiligte Ministerium der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt befürwortet hat, nach § 453 c StPO analog i. V. m. § 3 Abs. 2 UBG. Zwar sieht das UBG selbst keine vorläufigen Maßnahmen wie den Erlaß eines Haftbefehls zur Sicherung des Unterbringungsverfahrens vor. Durch die Verweisung des § 3 Abs. 2 UBG auf die Vorschriften der StPO und des GVG stehen jedoch im Unterbringungsverfahren die verfahrenssichernden Maßnahmen der StPO zur Verfügung. Dafür, dass der Gesetzgeber durch die Verweisungsvorschrift lediglich die Verfahrensvorschriften der StPO im engeren Sinne für anwendbar erklären wollte, sind Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Zwar ist in den Absätzen eins, drei und vier des § 3 UBG stets nur von der Entscheidung über die Anordnung, Fortdauer, Aussetzung, Widerruf der Aussetzung und Erledigung der Unterbringung, nicht aber von vorläufig sichernden Maßnahmen die Rede. Sinn und Zweck des UBG sprechen indes dafür, dass durch die Verweisung auf die Geltung der StPO auch auf die Vorschriften über die Untersuchungshaft/Sicherungshaft verwiesen werden sollte. Anderenfalls - müßte der Strafgefangene nämlich nach Vollverbüßung der Strafhaft aber vor Eintritt der Rechtskraft der Unterbringung aus der Strafhaft entlassen werden - liefe das UBG in Fällen wie dem vorliegenden leer, denn die von dem Strafgefangenen ausgehende Gefahr, die durch das UBG gerade abgewendet werden soll, könnte sich durch weitere Straftaten konkretisieren.

Hier kommt indes nicht die analoge Anwendung von § 453 c StPO, sondern nur die des § 112 StPO in Betracht. Die vorliegende Verfahrenssituation ist eher derjenigen vergleichbar, die dem Erlaß eines Haftbefehls nach § 112 StPO zugrundeliegt. Wird beispielsweise in erster Instanz das auf Freiheitsstrafe erkennende Urteil nicht rechtskräftig, kann wird zur Sicherung des weiteren Verfahrens Haftbefehl nach §§ 112 f. StPO erlassen werden, soweit Haftgründe gegeben sind. Dass zu diesem Zeitpunkt noch kein vollstreckbarer Straftitel vorliegt, hindert die Anordnung der Untersuchungshaft nicht, weil der Haftbefehl auch die Durchführung der Strafvollstreckung sichern soll. Im hiesigen Fall liegt ebenfalls noch kein vollstreckungsfähiger auf Freiheitsentziehung lautender Titel vor, denn die Unterbringungsentscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Vielmehr müssen die Voraussetzungen der Unterbringung im Beschwerdeverfahren weiter ermittelt werden, vergleichbar den weitergehenden rechtlichen oder tatsächlichen Ermittlungen im Strafverfahren. Demgegenüber liegt im Fall des § 453 c StPO bereits ein rechtskräftiger Straftitel vor, dessen Aussetzung zur Bewährung lediglich noch widerrufen werden und für den die weitere Vollstreckung der Strafe durch den Erlaß eines Sicherungshaftbefehls gesichert werden muß. Diese Fallkonstellation entspricht im Vergleich von Straf- und Unterbringungsverfahren dem Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten Unterbringung, nicht jedoch dem vorliegend zu entscheidenden Fall.

Die Voraussetzungen des § 112 Abs. 1 Nr. 1 StPO i. V. m. § 3 Abs. 2 UBG sind gegeben.

Es ist nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Strafgefangene nach § 1 Abs. 1 UBG untergebracht werden wird. Der Strafgefangene verbüßte zum Zeitpunkt der landgerichtlichen Unterbringungsentscheidung unter den formalen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 StGB eine Freiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt des Landes Sachsen-Anhalt. Nach dem Zweck des UBG kann es insoweit nur auf die äußeren formalen Voraussetzungen des § 66 StGB ankommen, denn würde das Gesetz für seinen persönlichen Anwendungsbereich auch die materiellen Voraussetzungen, nämlich einen Hang zu Straftaten i. S. v. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB bedingen, so wäre das UBG selbst auf Fälle anwendbar, in denen die Sicherungsverwahrung bereits in dem zugrundeliegenden Straferkenntnis -soweit rechtlich möglich - angeordnet worden war. In diesem Fall wäre aber die Anordnung der Unterbringung nach dem UBG obsolet. Das UBG will indes gerade die Fälle regeln, in denen die Sicherungsverwahrung im Strafurteil nicht angeordnet worden ist, sich aber aus nach der Verurteilung bekannt gewordenen Tatsachen ergibt, dass der betroffene Strafgefangene eine erhebliche Gefahr für die Rechtsgüter Dritter darstellt. Die Verweisung des § 1 Abs. 1 UBG auf § 66 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 bis 4 StGB ist vielmehr so zu lesen, dass das UBG nur die Strafgefangenen erfaßt, die unter den formalen Voraussetzungen des § 66 StGB Strafhaft verbüßen. Der nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ferner für die Sicherungsverwahrung erforderliche Hang zu erheblichen Straftaten ist durch die erhebliche gegenwärtige Gefahr nach § 1 Abs. 1 UGB ersetzt.

Hier war der Strafgefangene vor der Verurteilung wegen versuchten Totschlags zu acht Jahren Freiheitsstrafe bereits durch Urteil des Bezirksgericht Halle vom 3. August 1984 (BGS 24/84) wegen Mordes zu der für Jugendliche nach dem Strafrecht der ehemaligen DDR vorgesehenen Höchststrafe von 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden und verbüßt daher die gegenwärtige Freiheitsstrafe unter den formalen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 StGB (§ 1 Abs. 1 UBG).

Von dem Strafgefangenen geht auch aufgrund von Tatsachen, die nach der Verurteilung bekannt geworden sind, eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer aus (§ 1 Abs. 1 UBG). Dies ist allein deshalb anzunehmen, weil der Strafgefangene eine rückfallvermeidende Sozialtherapie abgelehnt und dadurch beharrlich die Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels verweigert hat.

Dem Strafgefangenen war bereits durch das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 26.11.1992 bekannt, dass er psychologischer und sozial-pädagogischer Betreuung bedarf, um seine Straftaten aufzuarbeiten und sich zukünftig straffrei verhalten zu können (s. UA Bl. 9, 10). Dementsprechend hat der Strafgefangene auch in der Zeit von 1995 bis 1997 regelmäßig an Gesprächen des Anstaltspsychologen L. teilgenommen. Aufgrund eigenen Bemühens des Strafgefangenen führte der Anstaltspsychologe B. in der Zeit vom 14.5. bis 21.8.1998 12 probatorische therapeutische Gespräche mit dem Gefangenen. In seiner psychologischen Stellungnahme vom 14.09.1998 führt der Anstaltspsychologe B. aus, dass die Therapiewilligkeit und -fähigkeit des Strafgefangenen zu bejahen und eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt aus psychologischer Sicht mit Nachdruck zu befürworten sei. In einem an den Strafgefangenen gerichteten Beschluß der Strafvollstreckungskammer vom 05.10.1998 heißt es daran anknüpfend, dass das Vollzugsziel ohne eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt nicht erreichbar sei. Nach zwei Gesprächen mit dem externen Therapeuten H. im Juni 1999 hat der Strafgefangene mit Schreiben vom 10.06.1999 (Bl. 39 Bd. 3 des Haftsonderheftes) eine weitere Teilnahme an den Gesprächen wie auch eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt abgelehnt. Dies vor dem Hintergrund, dass er nach dem letzten Gespräch mit dem Therapeuten 30 Minuten auf seine Rückführung innerhalb der JVA habe warten müssen. Die Strafvollstreckungskammer lehnte mit Beschluß vom 11.11.1999 die Strafrestaussetzung zur Bewährung erneut u. a. mit dem Hinweis ab, dass der Gefangene die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt abgelehnt habe. In einem Schreiben vom 23.11.1999 führte der Strafgefangene aus, er habe die Verlegung in die sozialtherapeutische Anstalt abgelehnt, da er in dieser Zeit eine Umschulung habe absolvieren können und die Erreichung eines Ausbildungsabschlusses für ihn wichtiger gewesen sei. Am 09.03.2000 widerrief der Gefangene seine Zustimmung zur Begutachtung durch das Rechtsinstitut für Rechtspsychologie in Halle. Erst unter dem Datum des 22.11.2000 konnte das Gutachten des Sachverständigen Dr. D. nach anfangs widerstrebender Mitarbeit des Gefangenen erstellt werden. Hier wird zusammenfassend ausgeführt, dass eine Therapiemotivation des Gefangenen zur Zeit der Begutachtung nicht erkennbar gewesen sei. Auch im Rahmen der Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer am 08.05.2001 wurde wiederum auf die Erforderlichkeit einer Psychotherapie hingewiesen. Im Beschluß der Strafvollstreckungskammer vom 18.05.2001 findet sich wieder der Hinweis, dass mit weiteren Gewalthandlungen des Gefangenen zu rechnen sei, wenn er keine Sozial- und/oder Psychotherapie absolviere. Trotz dieser zahlreichen wiederholten Hinweise auf die Erforderlichkeit einer Sozial-/Psychotherapie hat der Strafgefangene seine Einstellung dazu nicht geändert. Vielmehr hat er auch die Begutachtung durch Prof. M. im Rahmen des Unterbringungsverfahrens abgelehnt, was letztlich nur so ausgelegt werden kann, dass der Gefangene kein ernsthaftes Interesse an seiner eigenen Persönlichkeitsstruktur und der Beseitigung seiner Persönlichkeitsstörung hat. Unter diesen Umständen stellt die Ablehnung der Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt eine beharrliche Verweigerung der Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels dar.

Im übrigen wird die durch die Persönlichkeitsstörung des Gefangenen begründete Gefährlichkeit auch durch die sachverständigen Stellungnahmen der Gutachter Prof. M. , R. , H. und B. belegt, auf die Bezug genommen wird.

Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO analog i. V. m. § 3 Abs. 2 UBG. Die dem Strafgefangenen drohende Unterbringung kann nach den in der Hauptverhandlung vor der Strafvollstreckungskammer erfolgten Stellungnahmen der Sachverständigen mehrere Jahre andauern, bis eine Therapie Erfolg verspricht und die Gefährlichkeit des Gefangenen kontrollierbar sein wird. Vor diesem Hintergrund bildet die angeordnete Unterbringung einen erheblichen Fluchtanreiz für den Gefangenen, sich dem weiteren Verfahren zu entziehen. Demgegenüber erscheinen die familiären Bindungen an die Eltern nicht geeignet, der Fluchtgefahr in ausreichendem Maße zu begegnen, so dass mildere Mittel als der Vollzug der Untersuchungshaft nicht in Betracht kommen konnten.

Ende der Entscheidung

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